Wie Sie mit Einschüben von der Seite umgehen

"Kannst du mal eben?"

Wenn Dinge am geregelten Prozess vorbei in Bearbeitung gegeben werden, stört das den Fluss der Arbeit und die Zusammenarbeit am Systemeingang. Aber wie geht man damit um, dass einige Menschen sich anscheinend nicht an die Regeln halten können? 

 

Immer wieder werde ich mit der Situation konfrontiert, in der sich einige wenige oder sogar viele nicht an die Limiterung der Eingangsspalte halten. Stattdessen gehen sie an der Seite vorbei und geben den Mitarbeitern in der Dienstleistung zusätzliche Arbeitsaufträge. Das kann sogar so weit gehen, dass einzelne Mitarbeiter präferiert herausgezogen werden. Der kurze Dienstweg ist zwar für den Moment angenehm, er schadet aber auf Dauer vielleicht dem Unternehmen.

Es gestaltet sich deshalb problematisch, weil hier Regeln mißachtet werden. Diese Regeln sollten im besten Fall miteinander verabredet sein und explizit gemacht werden. Vielleicht werden sie auch nur einseitig verordnet. Und im schlechtesten Fall sind sie sogar nur implizit vorhanden.

 

 

Vertrauen, Vorhersagbarkeit, Flow

Wird immer wieder an der limitierten Eingangsspalte vorbei gearbeitet, sinkt natürlich das Vertrauen in den Prozess, der zum Befüllen des Systemeingangs verwendet wird. Denn er ist offensichtlich nicht verlässlich. Ein gemeinsam verabredeter Prozess, der dann mißachtet wird, wird dann auch häufig als unfair betrachtet. Und Dinge, die nicht von allen als fair akzeptiert werden, werden auf Dauer manipuliert und umgangen.

Ein ganz wichtiger Punkt, der zerstört wird, ist die Vorhersagbarkeit. Sie lebt davon, dass im Prozess selbst wenig Variabilität auftritt. Damit ist nicht gemeint, dass einzelne Arbeitsinhalte nicht einer gewissen Variabilität unterliegen können! Stattdessen ist gemeint, dass die systemischen Aspekte, die sich auf die Abarbeitung einzelner Inhalte wirken, variabel sind. Als Beispiel: Manchmal treten Blockaden auf, manchmal nicht. Das hat vielleicht mit dem Arbeitsinhalt gar nichts zu tun, sondern eher z.B. mit der Verfügbarkeit von Spezialisten. Lassen wir Einschübe von der Seite zu, schwankt die Menge paralleler Arbeit – das Work-in-Progress, WIP. Das ist eine signifikante Variabilität, die sich direkt auf die Vorhersagbarkeit der Durchlaufzeit der Arbeitsinhalte auswirken wird. Es gilt also, solche Einschübe möglichst zu vermeiden.

 

Aber wie?

Zum einen sollten existierende Serviceklassen und Daten noch einmal betrachtet werden. Vielleicht versteckt sich hinter den Einschüben von der Seite eine Klasse, die bis jetzt noch nicht aufgedeckt wurde. Vielleicht existiert ein Bedürfnis an die Geschwindigkeit, das noch nicht bekannt und vielleicht im ersten Design auch nicht in den Daten zu finden war.

 

Zum anderen sollten die relevanten Stakeholder in einem gemeinsamen Workshop noch einmal das Design des Kanban-Systems hinterfragen und gegebenenfalls umformen. In einem solchen Workshop sollten Unzufriedenheiten, Bedürfnisse und Erwartungen vorgetragen werden und im Design des Kanban-Systems integriert werden. Natürlich ist es auch eine gute Idee, hier über die Serviceklassen und ihre Notwendigkeit zu reflektieren. Serviceklassen selbst sind nämlich auch nicht ganz unumstritten – vor allem wegen ihrer Auswirkungen auf den Flow der Arbeit und damit die Vorhersagbarkeit.

Nichtsdestotrotz muss aus einer Mißachtung der Regeln eine Reflexion darüber entstehen, warum sie mißachtet werden. Dann kann eine gemeinsame Vereinbarung erzeugt werden, dass Verbesserung angestrebt wird. Aus dieser Vereinbarung lassen sich dann wiederum gemeinsam beschlossene Regeln ableiten. Die haben ja typischerweise eine höhere Bindungskraft als fremd auferlegte Regeln.

 

Verbindlichkeit fördern statt nur Regelkonformität einzufordern

Die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Erwartungen von Kunden, Dienstleistern und anderen Stakeholdern fördern also die Verbindlichkeit. Das ist schon mal eine gute Voraussetzung dafür, dass das Problem in Zukunft weniger auftreten wird. Ich empfehle bei erneuten Übertretungen gerne an die Gemeinsamkeit der Vereinbarung zu erinnern. Beispielsweise durch ein „Wir haben das gemeinsam beschlossen. Wir erwarten doch von allen, dass sie sich daran halten.“ Gleichzeitig empfehle ich auch hier, für weitere Veränderung offen zu sein. Vielleicht war die initiale Vereinbarung ja gar nicht so gut?

All das machen wir mit dem Ziel, die Bedürfnisse unserer Kunden abzubilden. Nur wenn die wirklich abgebildet sind, können wir sicher gehen, dass sie unseren Prozess nicht an der Seite umgehen werden.

 

The wheels on the bus go round and round?

Natürlich ist es Quatsch, immer wieder die gleiche Schleife zu drehen:

  • Mißverhalten fällt auf
  • es wird diskutiert
  • Veränderung wird beschlossen
  • Beginne von vorn

Wir haben eine ganze Reihe an Verbesserungsmeetings in der Kanban-Methode, die der richtige Ort sind, um Unzufriedenheiten zu äußern. Wir können erwarten, dass sich die Beteiligten irgendwann so professionell verhalten, ihre Erwartungen dort anzusprechen statt darauf zu wetten, entweder nicht erwischt zu werden oder in einem friedvollen Miteinander Verbesserung zu gestalten. Irgendwann sollte sich das Verständnis über die Mechanismen gefestigt haben und wir dürfen erwarten, dass sich alle an die Regeln halten.

 

Fazit

An der Seite am Commitment-Meeting vorbei Arbeitsinhalte in den Bearbeitungsprozess zu geben schadet. Darunter leiden das Vertrauen in die Prozesse, das Fairnessgefühl der Stakeholder untereinander und vor allem die Vorhersagbarkeit der Prozesse.

Wir begegnen diesem Problem mit einer Offenheit zur Veränderung: Gemeinsame Reflexion darüber, warum und wie die Bedürfnisse noch nicht erfüllt werden, führt zu Vereinbarungen über Veränderung. Diese Veränderungen lösen das Problem genau aus diesem Grund: Sie berücksichtigen die Bedürfnisse der Stakeholder und werden dadurch verbindlicher für die Beteiligten.

 

Irgendwann sollte sich aber ein gemeinsames Verständnis ausprägen und wir können es in feste, verbindliche Regeln überführen, an die sich dann alle halten. Der schönste Spruch dazu zum Schluß. Ich habe ihn irgendwo im schwäbischen Teil Baden-Württembergs aufgeschnappt: „Es hindert sie niemand daran, sich einfach an die Regeln zu halten!“


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