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Podcast: Warum wir WIP-Limits verwenden

Die zweite Praktik der Kanban-Methode lautet "Limitiere die Menge paralleler Arbeit." WIP, kurz für Work-in-Progress oder Work-in-Process, ist genau diese Menge paralleler Arbeit.

 

 

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Die WIP-Limitierung ist eine von sechs Praktiken, die das Grundgerüst der Methode aufbauen. Sie sind also ein ziemlich zentraler Bestandteil. Erstaunlich ist da, das sie von vielen Unternehmen, Abteilungen und Teams einfach nicht verwendet werden. Sie konzentrieren sich viel mehr auf die Visualisierung, sicherlich eine andere wichtige Praktik.

Die Limits haben ein paar Effekte, insbesondere den, dass sie ein Pull-System entstehen lassen. In einem Pull-System wird Arbeit nur dann in den Prozess gebracht, wenn tatsächlich Kapazität dafür zur Verfügung steht. Damit kommen viele Planungswerkzeuge nicht zurecht, denn auf einmal regiert die Realität und nicht das Wunschdenken.

Darüber hinaus gibt es zwei Dinge, die ich an WIP-Limitierungs besonders bemerkenswert finde. Die sehen wir uns gleich an, denn wir müssen zuerst mal über Durchlaufzeiten sprechen.

 

Durchlaufzeit nennen wir die Zeit zwischen Auftragsannahme und Auftragserbringung, also -fertigstellung.

Gehen wir mal davon aus, dass kurze Durchlaufzeiten gut sind. Das können wir typischerweise, denn kurze Durchlaufzeiten ermöglichen uns schnelle Reaktionszeit, ein geringeres Risiko von Auftragsabbrüchen, geringere Probleme bei Integrationen mehrerer Aufträge und insgesamt höhere Kundenzufriedenheit.

Wenn uns daran gelegen ist, kurze Durchlaufzeiten zu bekommen, sollten wir ein Arbeitssystem gestalten, dass kurze Durchlaufzeiten auch möglich macht. Das bedeutet erst mal nicht, dass wir unsere Aufträge in kleine und kleinste Stückchen zerhacken und uns dann feiern, wenn wir eines dieser Fragmente fertiggestellt haben. Wir haben ja ein Interesse daran, dass der übergreifende Auftrag fertiggestellt wird.

Stattdessen bedeutet es, dass wir das System so verändern, dass unterschiedliche Aufträge schnell und insbesondere ohne viel Verzögerung durchlaufen.

 

Ich sehe immer wieder, dass die Durchlaufzeit einzelner Aufträge hauptsächlich durch Wartezeiten bestimmt werden – bis zu 96%! Stell dir das so vor: Du kommst bei deinem Friseur rein und setzt dich auf den Stuhl im Wartebereich. Vor dir sind drei weitere Personen und einer werden gerade die Haare geschnitten. Wenn jetzt jeder von denen 20 Minuten benötigt, wird es 70-80 Minuten bei sequentieller Bearbeitung dauern, bis du überhaupt erst dran bist! Das heißt, nach etwa 100 Minuten bist du mit geschnittenen Haaren wieder draussen. Der Friseur hat aber nur 1/5 deiner Zeit im Salon effektiv an deinen Haaren gearbeitet. Wie können wir das System so verändern, dass du weniger warten musst?

Na klar, wir schaffen die Wartezeit vor dem Haarschneiden ab. Und genau dafür verwenden wir WIP-Limits: Wir limitieren die Menge an Aufträgen im System. Nicht mal unbedingt "in Bearbeitung" – beim Friseur haben wir vielleicht nur einen Stuhl. Viel mehr in den Warteschlangen vor den Bearbeitungsschritten. Dort sammeln Aufträge meistens den Großteil ihrer Wartezeiten ein.

 

Wenn du dir dein Arbeitssystem mal anguckst: Schätz doch mal, an wie vielen Aufträgen eigentlich parallel wirklich gearbeitet wird. Wie viele warten auf Abhängigkeiten – die kannst du mal herausrechnen. Wie viele bleiben da noch übrig, die gar nicht bearbeitet werden aktuell. Meiner Erfahrung nach könnten wir einen Großteil dieser Aufträge erst einmal komplett unbearbeitet lassen. Wir nehmen sie also erst gar nicht an.

Das ermöglicht uns zum einen, die Aufträge, die wir annehmen, schnell durchzuziehen. Sie müssen ja nicht so viel warten. Und für die Aufträge, die wir nicht jetzt annehmen, bewahren wir uns ein hohes Maß an Optionalität. Wir können also den richtigen Zeitpunkt für die Bearbeitung auswählen. Denk noch einmal an den Friseur: Wenn ich sehe, dass der Friseur zwei statt vier Stühle im Wartezimmer hat, und diese auch noch belegt sind, kann ich später wiederkommen oder woanders hingehen. Weder er noch ich geht ein Commitment ein. Zugegeben, der Friseur muss da abwägen, was er dem Kunden anbietet: Wenig Wartezeiten und kurze Durchlaufzeiten und dementsprechend vielleicht einen höheren Preis, weil er nicht voll ausgelastet ist oder eben günstige Preise und viel Wartezeit.

Wir haben jetzt als einen Vorteil die kurzen Durchlaufzeiten. Der zweite direkte Vorteil von WIP-Limits kommt jetzt: Er bedeutet einen höheren Durchsatz.

 

Wenn wir die Menge paralleler Arbeit limitieren und auch senken, werden Probleme im Fluss deutlicher hervortreten als das in einem unlimitierten System der Fall ist. Stell dir das wie einen Fluss vor, bei dem man den Wasserstand senkt. Irgendwann kommen die Steine und Felsen zum Vorschein, die den Fluss des Wassers mit Turbulenzen bremsen. Wenn wir die Menge paralleler Arbeit senken, werden wir häufiger mit einer Situation konfrontiert, in der wir uns mit einem Auftrag auseinandersetzen müssen, der ein Problem hat. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, weil wir nicht die Option haben, einfach abzuwarten oder einen anderen Auftrag vorzuziehen. Wir kümmern uns also um das Problem, den sinnbildlichen Felsen und entfernen ihn aus dem System. So kann mehr Arbeit ohne Probleme durch den Arbeitsfluss fließen. Das bedeutet noch kürzere Durchlaufzeiten und auch einen höheren Durchsatz.

 

Je weiter wir die Limits heruntersetzen, desto häufiger werden wir mit den bestehenden Problemen konfrontiert. Immer und immer wieder. Die WIP-Limits funktionieren also als Stressor, die immer wieder Probleme hochbringen. So können wir uns dann aktiv um die Lösung kümmern – immer und immer wieder. Wie cool ist das denn?

Zusammenfassend können wir also mindestens mal zwei Vorteile von WIP-Limits ausmachen. Erstens: Wir können mit ihnen die Menge paralleler Arbeit senken, die sich in Wartezuständen befinden. Dadurch reduzieren wir die Durchlaufzeiten der Aufträge. Damit sinken die Wartezeiten innerhalb des Systems. Wir steigern dadurch auch noch die Optionalität vor dem System: Wir können also die zu jedem Zeitpunkt wichtigsten Aufträge auswählen statt sie irgendwo in Warteschlangen schlummern zu haben.

 

Zweitens: WIP-Limits fordern uns ständig heraus, weil sie uns auf Probleme im Fluss auf für uns manchmal unangenehme Art und Weise hinweisen. Wir können uns dann aktiv um die Behebung dieser Probleme kümmern. Die WIP-Limits funktionieren also als Stressor für Verbesserung.

Ich habe eingangs erwähnt, dass WIP-Limits ein Pull-System entstehen lassen. Dabei ist es so: Es gibt Pull-Systeme ohne WIP-Limits, aber ein WIP-limitiertes System ist immer ein Pull-System. Ich habe schon mal versprochen, dass ich über Pull und Push sprechen werde – demnächst kommt eine Folge genau darüber. Denn die Eigenarten der beiden Systemen sind Wirkich interessant!

 


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