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Podcast: Was tun, wenn die Mitarbeitenden sich nicht an die WIP-Limits halten?

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Transkript

Häufig werde ich mit dieser folgenden Aussage konfrontiert, wenn ich zur Beratung hinzugezogen werde: "Meine Mitarbeiter halten sich nicht an die WIP-Limits, obwohl sie sie selbst definiert haben und wir vereinbart haben, dass wir uns daran halten."

Ein Ausdruck tiefer Frustration darüber, dass von den Ideen der Kanban-Methode die zentrale Idee wohl nicht ankommt! Aber so einfach ist das nicht!

 

Lieber zuhören? Hier ist der Podcast:

Sehen wir uns doch noch mal die WIP-Limits an. Sie bestimmen, wie viele Auftragstickets sich in einem bestimmten Zustand im Wertstrom befinden dürfen. Das kann sowohl Zustände betreffen, in denen aktiv am Ticket bearbeitet wird, als auch Wartezustände. Die WIP-Limits erzeugen für uns ein Pull-System, das dann seinen Input selbst steuert. Durch die Limitierung über den gesamten Prozess werden Ausgang und Eingang gekoppelt. So wissen wir am Eingang genau, wie viel Kapazität für neue Tickets wir haben: Wir bekommen die Rückmeldung durch das sogenannte Pull-Signal.

Schön und gut. Aber was ist jetzt schlecht daran, dass diese WIP-Limits überschritten werden? Nun, zum einen werden Pull-Signale erzeugt, wo eigentlich laut der WIP-Limits gar keine Kapazität verfügbar ist. Wir ziehen also beispielsweise in einen vollen Puffer einfach noch 2 Tickets mehr. Der ist jetzt übervoll. Und im vorhergehenden Schritt sieht es so aus, als könnten jetzt zwei neue Tickets gezogen werden. Da steigt die Last auf unser Gesamtsystem, das wollen wir eigentlich gar nicht haben!

Natürlich sind WIP-Limits nur selbstgemachte Regeln. Ich sage immer gerne, dass da nicht die Kanban-Polizei kommt und für Ordnung sorgt. Dummerweise müssen wir das selbst machen. Da kommen dann die Teamleiter, Coaches, FlowMaster und so weiter dieser Welt ins Spiel. Die beschweren sich nämlich dann bei mir, dass sie zwar auf die Regeln pochen können, sich trotzdem niemand dran hält. Einer ging mal so weit, dass er ein Sparschwein für Strafen aufstellen wollte. Wenn man das WIP-Limit überschreitet, zahlt man nen Euro oder so. Zu was führt sowas? Genau! Die Realität wird in unserer Systemrepräsentation, dem Kanban-Board nicht mehr richtig dargestellt.

Die WIP-Limitierung ist leider keine so richtig exakte Wissenschaft. Die Limits hängen natürlich vom Prozess, von den Mitarbeitenden und von der Umgebung ab. Ich habe zwar so ein paar Daumenregeln wie Mitarbeitende mal 2 oder 3, aber das ist echt eine Erfahrungssache.

 

So. Jetzt kommt die spannende Frage: Warum werden die WIP-Limits von diesen Mitarbeitenden denn überschritten? Sind die einfach dumm? Oder böse? Oder, wie ich neulich in einem Blogpost gelesen habe, haben sie nicht das richtige Mindest?

 

Zuallererst: Nehmen wir mal an, die Mitarbeitenden handeln nach bestem Wissen und Gewissen. Dann könnte es zum Beispiel sein, dass sie einfach typisch menschliche Verhaltensweisen an den Tag legen: Sie weichen vielleicht einem Druck aus! Das könnte ein Kollege sein, der ein echtes Problem hat, und dessen Auftrag jetzt schnell vorwärts kommen muss. Oder jemand in einer machtvollen Position will irgendwas ganz schnell haben. Oder eine Deadline droht. Du siehst, es gibt da viel!

Wenn wir das mal beiseite legen, bleibt immer noch genügend übrig. Denn starke Prozessvariabilität kann echt problematisch sein! Stell dir vor, du hast bei jedem zweiten Ticket eine Abhängigkeit, gegen die du nix tun kannst! Das ist echt ärgerlich, wenn du dann rumsitzen musst und nichts tun kannst. Insbesondere, wenn dein sozialer Status daran hängt. Das darf man nicht unterschätzen, wie viel Druck das aufbauen kann. Wenn in der Firma das in Anführungsstrichen Rumsitzen sanktioniert wird, werden die Menschen sich ausweichend verhalten. Oder wenn es klar und sinnvoll ist, dass sie etwas anderes tun können und das dann auch noch funktioniert – weil sie WIP-Limits gebrochen haben.

 

Du siehst, ich bin da nicht sonderlich dogmatisch. Ich finde es gut, wenn WIP-Limits respektiert werden, aber sie müssen eben auch zum Kontext passen!

Als erste Hilfestellung kann ich dir mitgeben: Verwende mal eine Kombination aus Soft- und Hard-Limits. Also: Wir deklarieren beispielsweise fünf als Softlimit und das soll in der Mehrzahl der Fälle auch respektiert werden. Wenn das nicht geht, dürfen wir bis zu sieben Tickets in diesem Zustand haben – das ist dann das Hard-Limit: Zwei mehr. Dann kann man noch die Policy einführen, dass das Hard-Limit nicht eigenständig überschritten werden darf, sondern dass es eine gemeinschaftliche Entscheidung oder mit dem Vorgesetzten geben muss – je nachdem, wie es bei dir aussieht. Das lässt Verfügungsspielraum und Entscheidungsgewalt bei den Mitarbeitenden, unterstützt aber das Pull-System.

 

Darüber hinaus ist es häufig eine gute Idee, die Prozessvariabilität herunter zu bekommen. Also sollten wir mal Daten darüber sammeln, wie häufig die WIP-Limits übertreten werden. Das ist nicht zwingend notwendig, aber eine gute Metrik, ob wirklich ein Handeln erforderlich ist. Wenn das ganz selten passiert, spar' dir den restlichen Aufwand. Wir machen hier kein Sick Stigma.

Ansonsten sollte man sich daran machen, die Gründe für das Überschreiten, also die Auslöser, herauszufinden. Da ist es schlau, sich auch mit den Verursachern und Leidtragenden hinzusetzen: Auswirkungen aufzeigen, abwägen, Maßnahmen beschließen.

Bei so Dingen wie überraschenden Abhängigkeiten darf man sich auch die Frage stellen, was wir intern tun können, um Abhängigkeiten früher zu erkennen. Dann können wir solche Risiken besser managen.

Ganz wichtig ist an dem Ganzen: Wir dürfen die Menschen nicht dafür bestrafen, wenn sie sich in einem noch nicht stabilen System nicht ganz an die Regeln halten. Insbesondere dann nicht, wenn sie die Wahrheit sagen! Eine Ausnahme würde ich allerdings machen: Wenn sich Menschen nicht an die Heuristik "WIP-Limits tendenziell niedrig halten" und sich einfach nur vorsätzlich destruktiv verhalten, dann dürfen wir auch mal einzeln mit ihnen sprechen und weitere Konsequenzen aufzeigen.

 

Zusammenfassend bedeutet das: WIP-Limits erzeugen unser Pull-System, das darunter leidet, wenn die Limits nicht respektiert werden. Das Überschreiten kann aber viele Ursachen haben. Es ist schlau, diese Faktoren zu identifizieren und sie entweder abzuschaffen oder möglichst vorhersagbar zu machen. Und schlussendlich sollten wir unsere Kollegen und Peers dazu ermutigen, den Status Quo nicht nur zu akzeptieren, sondern immer nach Verbesserung zu streben.


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